Rolling Stones: Gimme Shelter DVD

1969 waren die Rolling Stones auf ihrem Höhepunkt, das Live-Album „Get Yer Ya-Ya’s Out“ legt davon ebenso Zeugnis ab wie das grandiose aktuelle Album „Let It Bleed“; und während der US-Tounee im Spätherbst arbeiteten sie schon an Songs für den Klassiker „Sticky Fingers“. Sie waren auf der Höhe – obwohl es eigentlich ein schlechtes Jahr für sie war, sie hatten sich im Frühsommer von Gründervater Brian Jones getrennt, der wenige Wochen später in seinem Pool ertrunken ist; und das Jahr endete am 6. Dezember mit dem Free Concert auf dem Altamont Speedway, das als B-Seite von Woodstock symbolisch das Ende von Love, Peace and Happiness beschloss: mit dem Tod des 18jährigen Schwarzen Meredith Hunter, erstochen von einem Hell’s Angel.
Die US-Tour der Stones wurde begleitet von den Kameras der Brüder David und Albert Maysles, sie wollten einen Konzert- und Tourneefilm drehen, ähnlich wie ihren „The Beatles in the USA“-Film von 1964. Sie drehten Material bei den drei Madison-Square-Garden-Konzerten vom 27. und 28. November, begleiteten die Stones auf der Reise quer durch die USA nach Kalifornien, beobachteten die kurzfristigen, chaotischen Organisationsarbeiten für das geplante Gratiskonzert; und sie waren dann in Altamont dabei. In der Postproduktion kam Charlotten Zwerin dazu, die Co-Regisseurin – sie entwarf im Schnitt das dramaturgische Konzept des Films, das Konzept, das „Gimme Shelter“ zu einem ganz herausragenden Vertreter des Musikfilmgenres macht.

Denn „Gimme Shelter“ fährt auf ganz raffinierte Weise auf zwei Schienen, die in entgegengesetzte Richtungen laufen. Da ist einmal die Tournee-Schiene: Die Stones unterwegs, durchsetzt mit Konzertausschnitten, Hotelszenen, Sequenzen in Tonstudios mit „Wild Horses“ – das ist der Rolling-Stones-Truck in voller Fahrt voraus. Und da ist die Trauma-Schiene, das dicke Ende von Altamont, das den Film von seinem Ende her überschattet, das als Menetekel immer ins Filmbild mit eingeschrieben ist. Zwerin durchsetzt den Film mit Einsprengseln, wie die Stones-Mitglieder im Schneideraum Teile einer Vorab-Schnittfassung von „Gimme Shelter“ sehen – im Film wird der Film selbst gesichtet. Die Stones beobachten sich selbst in Live-Aktion, und was in Altamont passiert ist. Altamont, der große Schock, der für die Stones, für die Filmemacher, für die Zuschauer immer präsent ist, weil hier ganz offensichtlich etwas zu Ende ging. Den Stones (und den Filmzuschauern) wird auch eine Radiosendung vorgespielt, in der sich der Hell’s-Angels-Führer Sonny Barger zu Wort meldet – mit ihm und seiner Truppe war drei Jahre zuvor auch Hunter S. Thompson als embedded journalist gefahren und hat ein Reportagebuch über die Motorradrockerszene verfasst – und er wird zwei Jahre später einen weiteren, einen definitiven Abgesang auf Hippieträume und Flowerpower-Jahre verfassen mit „Fear and Loathing in Las Vegas“.